Virtuosität fürs Einfache
Pierre Favre und Tamia – nichts als eine Stimme und ein Schlagzeug, der Gesang und die Perkussion, die ältesten musikalischen Ausdrucksformen. Und doch entfaltet sich in diesem Duo, das mit Unterbrüchen seit 1972, regelmässig seit 1980 besteht, die ganze Musik: das Archaische und das Virtuose. Die beiden, der Schweizer und die Französin, sprechen aus einem Geist, aber in vielen Sprachen. Ihre Musik ist nicht teilbar. Sie last sich analysieren, beschreiben, verfolgen von Bild zu Bild, von Stimmung zu Stimmung, von Anklang zu Anklang; aber das ware das: eine verfolgte Musik. Ihr Geist ist die Bewegung, das, was uns zieht von einem zum nächsten, der Fluss, der Bewuststseinsstrom (wie James Joyce das genannt hat). Es ist, wie in alten Mythen, ein Fluss, der nicht von der Quelle zum Meer führt, vom Ursprung zur Unendlichkeit, sondern der sich zurück-krümmt in sich selbst wie die indianische Weltschlange. Da geht jetzt, denkt der nachsichtige Leser, wieder mal der raunende Mystizismus mit dem Schreiber durch. Es möge sich selbst überzeugen, wie schwer es ist, sich bei solcher Musik diesen Schwingungen der menschlichen Anklangsnerven zu entziehen.
Tamia Stimme ist die Instrument: über ganze vier Oktaven, vom erdnahen Geräusch, dem animalischen Naturlaut bis zur reinen Ätherik. So denkt man, klängen die Dinge, hätten sie eine Sprache. Nein: Hätten wir noch Ohren, ihre Sprache zu vernehmen. Diese ihre Stimmen (der Plural ist angezeigt) sind ein ganz und gar unvergleichliches Instrumentarium.
Pierre Favre ist der Poet des Schlagzeugs, einer, der die percussive Klangwelt so organisch zum Singen bringt, dass man wieder einmal die deutsche Spräche verflucht, die für die Materie, der solcher Zauber entspringt, gerade die Pickelhauben-Komposition “Schlagzeug” bereithält (so wie sie den Papillon “Chmetterling” nennt). Seine Kunst hat ebensoviel mit der Überwindung der Materie zu tun wie mit der Ehrfurcht davor. Favre, das war hier schon öfter mit Respekt zu vermelden, transzendiert gewissermassen das Schlagzeug, er gewinnt ihm Lyrik ab, und es ist weder unangemessen noch ein romantisierender Kitsch, an den berühmten Vierzeiler des Magiers Eichendorff zu erinnern (“Schläft ein Lied in allen Dingen / Die da träumen fort und fort / Und die Welt hebt an zu singen / Triffst du nur das Zauberwort”); hier wie dort gibt es noch eine Ahnung vom orphischen Ohr, oder vom franziskanischen.
Die Musik dieses Duo ist unteilbar. Sie ist Materie und Geist, Kopf und Bauch, und die Rollen sind in diesen Zwiegesprächen ineinander verschlungen; es ist nicht so, dass die Perkussion das kalibanische, die Stimme das arielische Prinzip verträte (um die Geister aus Shakespeare “Sturm” zu beschwören). Beide tragen beide Pole in sich. Virtuosität ist hier ein Mittel zur Herstellung des ganzes Einfachen, sie stellt sich nicht selbst dar. Im Gegenteil. Die sechs Stücke auf dieser Platte nehmen sich aus wie sechs Etüden über das Einfache in der Musik. Das Einfache, von dem wir wieder lernen müssen, dass es das Gegenteil des Einfältigen ist.
De la nuit… le jour” heist diese Scheibe. Mit dem, was Hanns Eisler bei Beethoven als « Durch Nacht zum Licht » verspottete (als musikalisch-dramaturgische Abbildung einer abgewirtschafteten Metaphysik), hat dieses Duo nichts zu schaffen. Der Titel zeigt, und dasist ganz bescheiden gemeint, die mytische Dimension an im Sinne des organischen Kreislaufs, des Wechsels, der unentwirrbaren Verschränkung der Gegensätze. « Du jour… la nuit » ist selbstverständlisch mitzulesen, nicht so sehr im Sinne einer Erlösungsmetaphorik als in dem der Dauer im Wechsel.
Da allerdings sind ein paar utopische Assoziationen erlaubt : dass vielleicht das Organische, Selbstverständliche, Natürliche, Einfache doch noch zu bewahren sei gegen den real existierenden Wahnsinn, und sei es in einer Geste der ohnmächtigen Behauptung. Dass der Kunst so etwas gelänge wie die Rettung der Oasen inmitten der Verwüstungen dieser Endzeit. Auf dem Totenfloss die Pflege des Biotops im Geranienkistchen. Auch das (scheint mir von dieser Musik gegen die Gewohnheit zu so etwas wie Ergriffenheit Verfürhrtem) ware ja schon ein Zeichen der Hoffnung.